Das Erbe für künftige Generationen bewahren

Interview mit Dr. Eberhard Brecht

„Das Bewusstsein, in einem historischen Kleinod zu leben, ist seit Anfang der 1990er-Jahre gewachsen.“
Dr. Eberhard Brecht, Bürgermeister der Stadt Quedlinburg

Ist der Status „UNESCO-Welterbestadt“ für Quedlinburg eher Lust oder Last?

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Dr. Eberhard Brecht: Es ist Lust. Und natürlich auch ein Stück Last. Aber wir sind mit dem Schritt, den Welterbe-Titel zu beantragen, ja auch eine gewisse Selbstbindung eingegangen. Wir sagen: Unsere 90 Hektar große historische Innenstadt ist nicht nur ein Vorzeigeobjekt für Einwohner und Besucher heute, sondern sie muss für künftige Generationen bewahrt werden. Da stehen wir in besonderer Verantwortung. Und so haben wir uns auch das IBA-Motto „Perspektive Weltkulturerbe“ bewusst als Zeichen dafür gewählt, dass wir die Herausforderung annehmen.

… und der sich eine engagierte Bürgerschaft stellt. Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Stadtverwaltung und Bürgern?

Dr. Eberhard Brecht: Viele Bürger kümmern sich um Geschichte, Baugeschichte und den Erhalt ihrer Stadt. Dazu kommt die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtverwaltung mit Einwohnerversammlungen oder den IBA Veranstaltungen, wo sich die Bürger einbringen. Es ist wichtig, dass man frühzeitig vor Projektebeginn miteinander ins Gespräch kommt.

Nun sind die Bewohner eines Stadtteils oder ein Hauseigentümer nicht immer einer Meinung mit Stadtverwaltung oder Denkmalbehörde.

Dr. Eberhard Brecht: Natürlich gab und gibt es Konflikte. Zum einen, weil sich inzwischen sehr viele auch emotional mit dem Erbe identifizieren und dann übers Ziel hinausschießen, zum Beispiel Schmuck am Haus anbringen wollen, der gar nicht hierher gehört. Oder weil sie Auflagen der Denkmalbehörde als zu hoch empfinden. Andererseits sind wir als Stadt auch Anwalt des Bauherrn, wenn durch Denkmalschutzanforderungen der weitere Leerstand und damit Verfall eines Hauses droht.

Die Quedlinburger selbst sind die wichtigsten Akteure beim Erhalt ihrer Stadt, auch was die Vielfalt der Nutzung angeht?

Dr. Eberhard Brecht: Wir haben eine rege Kulturszene, die sehr zur Lebendigkeit beiträgt. Und wir wollen ja nicht nur Steine und Holz, sondern ein im umfassenden Sinn lebendiges Erbe bewahren. Und wie sich die Bürger damit identifizieren, erlebten wir bei der Sanierung des Münzenberges, bei der die EU, das Land, die Stadt und private Investoren erfolgreich zusammenwirkten. Anfangs gab es viel Skepsis, aber als wir das Projekt abschlossen, feierten es die Bürger mit einem schönen Stadtteilfest. Das Bewusstsein, in einem historischen Kleinod zu leben, ist seit Anfang der 1990er-Jahre gewachsen.

Wie hilft die IBA bei der Bewahrung der historischen Innenstadt?

Dr. Eberhard Brecht: Die IBA hat geholfen, ein Netzwerk aus dem vorhandenen beispielhaften Engagement der Bürger zu flechten. In diesem Netzwerk ist es möglich, dass Partikularinteressen für das gemeinsame große Ziel zurückgestellt werden.

Gibt es Partner über die Bürgerschaft hinaus?

Dr. Eberhard Brecht: Bereits seit den 1990er-Jahren unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Stadt Quedlinburg, unter anderem dadurch, dass wir Geld von privaten Spendern bekommen. Die Zuwendungen sind allerdings rückläufig. Nachdem es mir aber gelungen ist, das Interesse des Bundesbauministeriums auf die Welterbestätten insgesamt zu lenken, gibt es ein entsprechendes Förderprogramm, aus dem wir 10 Millionen Euro für den Erhalt der Standfestigkeit des Stiftsbergs und für die Rekonstruktion des Marktplatzes bekommen.

Das fehlende Geld stellt sich als Hauptproblem dar …

Dr. Eberhard Brecht: … neben der sinkenden Einwohnerzahl. Wir müssen uns weiter um gewerbliche Ansiedlungen bemühen, damit Arbeitsplätze entstehen und Menschen hierher kommen. Außerdem werben wir bundesweit für Quedlinburg als Alterswohnsitz: Wir bieten die Beschaulichkeit einer Kleinstadt mit gutem Kulturangebot – und das direkt am Harz.

Sehen Sie Quedlinburg als Modell für andere Städte?

Dr. Eberhard Brecht: Bei der demografischen Entwicklung ist der Osten das Lernlabor für den Westen. Ich denke, dass im Zuge der IBA-Präsentation 2010 westliche Kommunen gucken und fragen, wie wir mit geringer werdenden Finanzen und sinkender Einwohnerzahl umgehen.

Info: Quedlinburg