Mediterrane Zukunft?

Interview mit Klimaforscher Dr. Klaus Müschen

Dr. Klaus Müschen

Die IBA Stadtumbau 2010 hat sich vor allem mit Fragen der Stadtentwicklung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels beschäftigt. Die Zukunft unserer Städte und Landschaften wird aber auch maßgeblich durch klimatische Veränderungen bestimmt werden. Deshalb hat das IBA-Büro gemeinsam mit Experten verschiedene Szenarien entwickelt, wie sich der Klimawandel und die so genannte Energiewende auf die Region auswirken könnten.

Dr. Klaus Müschen vom Umweltbundesamt spricht im Interview über heißere Sommer, neue Energiequellen und veränderte Landschaften im zukünftigen Sachsen-Anhalt.

Ist der heiße Sommer in diesem Jahr ein Vorgeschmack auf das zukünftige Klima in Sachsen-Anhalt?

Müschen: Aufgrund von einzelnen Wetterlagen lässt sich natürlich keine fundierte Aussage über zukünftige Entwicklungen treffen. Aber laut Statistik, Klimabeobachtungen und des daraus prognostizierten Trends werden Sommer wie dieser häufiger. Bis zum Jahr 2100 wird weltweit ein Temperaturanstieg zwischen 2 und 5 Grad Celsius erwartet. In Deutschland könnten dann Hitzewellen zur Normalität gehören.

Auf welcher Grundlage werden solche Werte berechnet?

Müschen: Die Temperaturenangaben beruhen auf bestimmten Emissionsannahmen und unterscheiden sich zudem natürlich je nach geografischer Lage einer Region. Wenn wir – und damit meine ich die Industrieländer – so weiter machen wie bisher, dann werden auch die klimatischen Veränderungen extremer ausfallen. Heute verursacht z. B. jeder Einwohner eines Industrielandes etwa 11 Tonnen Treibhausgas – fast sieben Tonnen mehr als im globalen Durchschnitt. Selbst wenn wir unseren Verbrauch auf maximal 1-2 Tonnen jährlich reduzieren, wird die Temperaturerhöhung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter weltweit dennoch bei durchschnittlich zwei Grad Celsius liegen.

Wärmere Sommer sind ja nun nicht unbedingt die schlechtesten Aussichten…

Müschen: Das kommt auf den Blickwinkel an. Sachsen-Anhalt könnte vom Klimawandel sogar profitieren. In fünfzig Jahren könnten wir hier mediterrane Verhältnisse haben mit langen, warmen, niederschlagsarmen Sommern und verregneten Wintern. Das ist z.B. schlecht für den Wintertourismus im Harz, sinkende Wasserstände und hohe Temperaturen sind auch für die Binnenschifferei und viele industrielle Produktionsanlagen ein Problem. Andererseits könnten ganz andere Nutzpflanzen und bis zu zwei Ernten im Jahr eingefahren werden, wenn sich die Landwirtschaft z. B. durch andere Bewässerungssysteme entsprechend darauf einstellt. Vor allem erwarten wir global gesehen aber negative Folgen des Klimawandels. Es wird eine hohe Zahl an Klimaflüchtlingen geben, die nicht nur aufgrund der Dürre ihre Länder verlassen, sondern etwa auch Menschen aus den Küstenregionen Deutschlands, die vor immer häufigeren Sturmfluten aus ihrer Heimat fliehen. Um solche dramatischen Auswirkungen weitestgehend zu verhindern, müssen wir handeln. Das sind wir nicht nur den Entwicklungsländern schuldig.

Welche Konsequenzen sollten wir also ziehen? Letztlich wissen wir nicht, wie sich Technologien und Lebensstile in fünfzig Jahren verändern werden …

Müschen: Nein, das wissen wir nicht. Aber solche Szenarien, wie sie in extremer Form auch in der IBA-Ausstellung präsentiert werden, können uns dabei helfen, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Das Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau hat gerade in einer Studie gezeigt, dass es möglich und notwendig ist, unseren Strom in Deutschland bis 2050 komplett aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Die Technologien entwickeln sich hier rasant und mittlerweile gibt es eine richtige Bewegung von „100-Prozent-Kommunen“, die sich bereits jetzt zu dem Ziel verpflichtet haben, ihren gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien zu generieren. Dazu zählt übrigens u. a. auch das Altmarkdorf Iden in Sachsen-Anhalt. Ich habe noch die Stimmen im Ohr, die vor 20 Jahren den alternativen Energien einen Anteil von maximal 4 Prozent vorausgesagt haben. Jetzt sind wir schon bei durchschnittlich 16 Prozent im gesamten Bundesgebiet. Abgesehen von der Nutzung und der Weiterentwicklung bestimmter Technologien, müssen wir natürlich unseren Lebensstil ändern. In gewisser Weise ist hier das IBA-Motto „Weniger ist Zukunft“ ganz treffend. Weniger Fernreisen, weniger Fleisch etc. Wobei das ja nicht unbedingt nur Verzicht bedeuten muss. Einen kräftigen Rotwein aus der Harzregion würde ich zukünftig gerne probieren, ebenso das „Low Carbon Food“ aus der Altmark und eine fast autofreie Stadt Halle (Saale), wie sie für die Zukunftsszenarien der IBA Stadtumbau 2010 erdacht wurde, könnte ja durchaus ganz neue Lebensqualität bieten.

In einem dieser Szenarien wird behauptet, dass Sachsen-Anhalt zum Vorreiter für erneuerbare Energien und ökologischen Lebenswandel werden könnte. Inwiefern ist dies realistisch?

Müschen: Sachsen-Anhalt besitzt bereits jetzt verschiedene wichtige Produktionsstandorte für die Gewinnung regenerativer Energien. Zudem sind die geringe Besiedlungsdichte in einigen Regionen – etwa für die Nutzung von Windenergie – und die relative Überschaubarkeit sachsenanhaltinischer Kommunen hier ein strategischer Vorteil. Das IBA-Motto der Stadt Eisleben – kleiner, klüger, kooperativ – könnte hier sinnbildlich für das ganze Land stehen, auch in Bezug auf seine energiepolitische und ökologische Entwicklung. In kleineren und mittleren Städten können Entscheidungen, z. B. für erneuerbare Energien, viel schneller getroffen und umgesetzt werden, haben einzelne Personen einen größeren Einfluss. Bereits jetzt zählt Sachsen-Anhalt zu den Spitzenreitern: Knapp 35 Prozent der Nettostromerzeugung wurden im Jahr 2008 aus erneuerbaren Energien gewonnen.

Dr. Klaus Müschen leitet seit 2006 die Abteilung „Klimaschutz und Energie“ im Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau. Er ist Autor zahlreicher Studien und hat die IBA Stadtumbau 2010 als wissenschaftlicher Berater für ihre Abschluss-präsentation unterstützt.  Das Interview führte Franziska Eidner. Dank an Petra Mahrenholz vom Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung (KomPass).