Projekt Merseburg
Neue Milieus – neue Chancen
Merseburg entwickelte im Rahmen der IBA Stadtumbau 2010 gezielte Strategien zur milieuspezifischen Integration: Die Stadt will nicht nur junge Menschen halten, sondern sich auch für soziale Gruppen und Milieus, die hier bisher wenig oder gar nicht vertreten waren, öffnen. Besonders für Menschen aus kreativen und experimentellen Bereichen, Migranten und Beschäftigte der in der Region Merseburg angesiedelten Industrien soll die Stadt durch ein offenes soziales und integratives Klima sowie entsprechende bauliche Maßnahmen attraktiv werden.
Besonderes Augenmerk gilt dem historischen Dom- und Schlossbereich und der Verbindung von städtebaulichen Sanierungsprojekten mit der Ansiedlung und Entwicklung von wissenschaftlichen Institutionen wie dem Europäischen Romanik Zentrum e. V. und der Kooperation mit Bildungseinrichtungen, der Medienbranche und der Kunst.
Die politische Wende 1989/90 brachte ein vorläufiges Ende der industriellen Zeiten für Merseburg mit sich. Ab 1906 war hier im nahe gelegenen Geiseltal Braunkohle abgebaut worden und dank der Leuna-Werke (seit 1916) und des Buna-Werks (seit 1936/37) war die Region ein Zentrum der chemischen Industrie. Mit den wirtschaftlichen Umbrüchen der Nachwendezeit gingen tausende Arbeitsplätze verloren. Als 1989 massive Bürgerproteste den Stopp des weiteren Flächenabbruchs der historischen Innenstadt erzwangen, war es fast schon zu spät – eine über 1000-jährige Stadt mit europaweiter geschichtlicher Bedeutung hatte ihr Zentrum nahezu verloren. 1991 wurde jedoch eine Erhaltungssatzung beschlossen und die noch existierende alte Bausubstanz neben privatem Engagement auch mit Städtebauförderungs-mitteln, unter anderem im Rahmen der Landesinitiative URBAN 21 sowie aus EU-Fonds, schrittweise instand gesetzt. Damit erfuhr die Geschichte der Stadt die ihr entsprechende Würdigung: Merseburg wurde immerhin bereits 830/850 urkundlich im Hersfelder Zehntverzeichnis erwähnt und nach 919 zur Kaiserpfalz ausgebaut. Der Gründung eines Bistums 968 folgte der Bau von Dom und Schloss, deren viele Türme bis heute die Stadtsilhouette prägen. Dieses Dom- und Schlossensemble mit Orangerie, Schlossgarten und Ständehaus sowie das Kapitelhaus, heute Archiv, Bibliothek und Dommuseum, wurden inzwischen saniert. Die Neugründung der Hochschule Merseburg (FH) 1992 und die Ansiedlung neuer Firmen konnten den wirtschaftlichen Niedergang jedoch nicht aufhalten, der durch die Privatisierung und Schließung großer Teile der umliegenden Industriebetriebe verursacht wurde. Die Folgen waren Abwanderung – Merseburg hatte 1995 rund 41 500 Einwohner, 2001 nur noch etwa 37 000 – und Leerstand. Mittlerweile haben sich in den fünf Gewerbegebieten der Stadt wieder Unternehmen und Zulieferfirmen der chemischen Großindustrie niedergelassen, die von der guten Verkehrsanbindung durch mehrere Autobahnen und den Flughafen Leipzig-Halle sowie die Nähe mehrerer Universitäten profitieren.
Die IBA-Projekte in Merseburg zielen darauf ab, sich die gute Lage zwischen den Städten Halle und Leipzig zunutze zu machen und bisher unterrepräsentierte Milieus für das Leben in der Mittelstadt zu interessieren: Junge Menschen aus kreativen Berufen, Leistungsträger und Migranten sollen sich neben der traditionellen Industriearbeiterschaft in Merseburg niederlassen. Zur Realisierung dieses Vorhabens wurde mit der Hochschule Merseburg und Partnern aus Kultur, Wissenschaft und Bürgerschaft eine Debatte über Wohn-, Freizeit-, Kultur- und Bildungsangebote sowie die Integration von neu Hinzugezogenen angestoßen.
Städtebaulich legt Merseburg den Schwerpunkt auf die Altstadt und den Burgberg. Das Stadtentwicklungskonzept, das zunächst beim Wettbewerb Stadtumbau Ost eingereicht wurde, bildete die Grundlage für die IBA-Beteiligung der Stadt ab 2005. Seither gibt es in Merseburg vier IBA-Projekte.
Eines der wichtigsten Projekte für die Entwicklung des Domviertels war das Europäische Romanik Zentrum e. V., ein An-Institut der Martin-Luther-Universität Halle–Wittenberg, das 2008 eröffnet wurde. Bauherren des internationalen Forschungszentrums waren die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz. Außerdem wird am Burgberg die Sanierung leer stehender denkmalgeschützter Bausubstanz unterstützt, um vor allem junge Familien nach dem sogenannten Leipziger Selbstnutzermodell als neue Bewohner zu gewinnen. Bereits 2005 öffnete die Willi-Sitte-Galerie mit Werken des bedeutenden Malers des sozialistischen Realismus in der ehemaligen Domkurie „Nova“ am Domplatz ihre Pforten.
Die Sanierung und Aufwertung des Quartiers Tiefer Keller ist ein weiteres IBA-Projekt. Das Viertel ist durch zahlreiche sanierungsbedürftige Gebäude gekennzeichnet, soll revitalisiert und zu einem Quartier für Kunst und Wohnen umgestaltet werden. 2006 wurde das Kunsthaus Tiefer Keller eröffnet. Der ursprüngliche Gebäudekomplex stand schon im 15. Jahrhundert, wurde aber in den 1970er Jahren teilweise abgebrochen und ab 1980 die verbliebene Scheune als Jugendklub ausgebaut. Die erhaltenen Keller und Gebäude entwickelte der Galerist Holger Leidel ab 2005 dann zur Galerie: In den historischen Gewölben befinden sich heute Ausstellungsräume, oberirdisch entstand ergänzend ein modernes Atelierhaus. Bereits 2005 schlug die Geburtsstunde des Kunstvereins MerKunst e. V. Weitere Fortschritte im Quartier gestalten sich allerdings schwierig. Obwohl Städtebaufördermittel zur Verfügung stehen, wird eine Aufwertung des Viertels etwa durch den Bau von Studenten- und Atelierwohnungen und die Sanierung weiterer historischer Kelleranlagen durch die knappe finanzielle Ausstattung der Gebäudeeigentümer erschwert. Die baulichen Vorarbeiten wie Vermessungen, archäologische Bestandsaufnahmen und Vorbereitungen zur Stabilisierung der Keller hat die Stadt jedoch bereits in Auftrag gegeben. Ziel ist es, neben Studierenden, Kunstschaffenden und Galerien auch touristisch interessante Geschäftsideen in das Viertel zu ziehen.
Das dritte IBA-Projekt ist die Aufwertung der Mühleninsel Meuschau: Die Mühlen- und Wirtschaftsgebäude sowie das alte Herrenhaus wurden früher vom VEB Mühlenwerke Merseburg genutzt. Ihre Sanierung von privater Hand steht unter dem Motto „Arbeiten, Wohnen, Freizeit auf der Mühleninsel“. Seit 2009 ist eine Wasserkraftanlage in Bau, für Wassersportler und -wanderer wurden touristische Angebote entwickelt. Auch die ehemalige Wildwasserkanustrecke soll wiedereröffnet werden. Ein Jugendhostel sowie ein Laden für Bootsbedarf sollen das Ensemble beeindruckender Industriearchitektur zusätzlich beleben.
Die Umgestaltung des Petriklosters zur Buchfabrik war ein weiteres IBA-Projekt. Mit der Übersiedlung des Projekte-Verlags Cornelius GmbH aus Halle wollte Merseburg seine lange Buchtradition wieder aufgreifen: Die erste Druckerei gab es hier bereits 1473. Der private Investor wollte das Kloster ab 2009 umbauen und neben dem Verlag auch Veranstaltungsräume und Ausstellungen entwickeln. Leider gelang es dem Verlag nicht, die Finanzierung des ehrgeizigen Vorhabens abzusichern, sodass das IBA-Projekt 2010 nicht mehr umgesetzt werden kann.
Petra Frese, 2010
Weitere Merseburg-Bilder
Info: Merseburg
- Einwohner
(auf dem Gebietsstand von 2010)
1989: 47.232
2009: 35.894
2025: 28.704 (Prognose)
- Fläche: 54,73 qkm
- IBA-Stadt-Monitor
- www.merseburg.de
- IBA-Website von Merseburg